Svenja Schulze

Fachkräftemangel: „Wir können das Problem nur lösen, wenn wir alle an einem Strang ziehen“

24. April 2023

Viele Menschen in Münster bekommen im Alltag den massiven Fachkräftemangel zu spüren. Zum Beispiel dann, wenn sie eine Handwerkerin brauchen, aber die Betriebe ein Jahr im Voraus ausgebucht sind. Oder dann, wenn sie pflegebedürftige Angehörige oder kleine Kinder haben, aber die Plätze in Pflegeheimen und Kitas nicht ausreichen. Was tun? Darüber hat Svenja Schulze, SPD-Bundestagsabgeordnete für Münster, am Montagabend im Rahmen einer „Fraktion vor Ort“-Veranstaltung der SPD-Bundestagsfraktion in Münster diskutiert. Zu Gast waren im „Hier und Jetzt“ vor rund 80 Zuschauer:innen die SPD-Politikerin Kerstin Griese, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Arbeit und Soziales; Volker Nicolai-Koß, Regionsgeschäftsführer DGB Münsterland; und Carsten Haack, Abteilungsleiter bei der Handwerkskammer Münster.

„Die Lage am Arbeitsmarkt ist eine Medaille mit zwei Seiten. Münster hat zwar eine niedrige Arbeitslosenquote: 2022 lag sie im Durchschnitt bei 4,4 Prozent. Damit lag sie 2,4 Prozentpunkte unter dem Landeswert. Münster hat die niedrigste Arbeitslosenquote unter allen kreisfreien Städten in Nordrhein-Westfalen. Das ist auf den ersten Blick natürlich gut. Gleichzeitig können aber viele Stellen nicht besetzt werden, und das spüren wir im Alltag. Es ist für uns alle ein Problem, wenn es in Pflegeeinrichtungen, in der Kitabetreuung, in Behörden und Unternehmen an qualifizierten Mitarbeiter:innen fehlt. Deshalb können wir das Problem nur lösen, wenn wir alle an einem Strang ziehen: Politik, Unternehmen und Gewerkschaften“, sagte Svenja Schulze, SPD-Bundestagsabgeordnete.

„Zur Modernisierung unserer Infrastruktur brauchen wir Menschen, die wissen, wie man Schienen, Glasfaser oder Stromtrassen ausbaut und instand hält. Und um mit technologischen Entwicklungen Schritt halten zu können, brauchen wir exzellent ausgebildete und innovative Fachkräfte, die mit Tatkraft und Ideen Unternehmen voranbringen. Deshalb müssen Politik, Betriebe und Gewerkschaften alles daran setzen, dass alle Arbeitnehmer:innen Zugang zu bester Aus- und Weiterbildung haben.“

Kerstin Griese, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Arbeit und Soziales, erläuterte die Maßnahmen der Bundesregierung zur Fachkräftesicherung. „Wir stehen an einem entscheidenden Punkt in der tiefgreifenden Transformation in Wirtschaft, Arbeit und Gesellschaft. Die so genannten ‚3D‘ – Demografischer Wandel, Dekarbonisierung und Digitalisierung – fordern uns zunehmend heraus. Es gilt jetzt, gemeinsam die richtigen Weichen zu stellen, um Fachkräfte zu gewinnen und zu halten! Mit einer zeitgemäßen Ausbildung, gezielten Weiterbildungen und einer modernen Einwanderungspolitik wollen wir die Arbeit als Fachkraft wieder attraktiver machen und Unternehmen bei der Fachkräftesicherung unterstützen. Fachkräfte zu gewinnen heißt auch, sie zu halten!“

Dafür sei entscheidend, flächendeckend gute Arbeitsbedingungen in Deutschland zu haben. Dazu gehörten Tarifbindung, gute Tarifverträge und betriebliche Mitbestimmung. „Und was wir brauchen, ist eine Unternehmenskultur, die nachhaltig in die Beschäftigten investiert“, so Griese.

Volker Nicolai-Koß, Regionsgeschäftsführer DGB Münsterland, sah insbesondere die Arbeitgeber in der Verantwortung. „Ausbilden, weiterbilden, nach Tarif bezahlen, Arbeitsplätze altersgerecht gestalten, Arbeitsbedingungen und Infrastruktur für Kinderbetreuung verbessern – das sind echte Lösungen. Wenn nicht alle Arbeitgeber diese Schritte selbst gehen, muss unsere Regierung mit gesetzlichen Regeln nachhelfen“, sagte er. Auch Einwanderung sei notwendig, allerdings zu fairen Bedingungen, nicht als Weg in prekäre Arbeit. „Gute Einwanderungspolitik muss sich daran orientieren, Menschen im Alltag und unserer Gesellschaft ankommen zu lassen und nicht, sie als leicht verfügbare billige Arbeitskräfte auszunutzen, egal in welcher Branche.“

Insbesondere den Handwerkermangel bekommen seit Jahren viele Kund:innen zu spüren. Carsten Haack, Abteilungsleiter HWK, Fachkräftemangel im Handwerk, warb dafür, die Attraktivität der Berufe mehr in den Vordergrund zu rücken: „Was passiert eigentlich in den Köpfen junger Menschen, wenn wir sie für Berufe begeistern wollen, die unter einem FachkräfteMANGEL leiden? Es ist unbestritten, dass uns in vielen Berufen und Regionen Fachkräfte fehlen. Die Diskussion über Strategien und Lösungswege ist im vollen Gang. Wir sind aber gut beraten, im Blick zu behalten, dass sich gerade junge Menschen ihre ganz eigenen Gedanken machen – nach dem Motto: Wenn diese Jobs niemand machen möchte, wird es ja wohl Gründe dafür geben.“

Viele Ausbildungsbetriebe im Handwerk erlebten, dass junge Fachkräfte nach der Ausbildung abwanderten, weil sie etwa in der Industrie aus ihrer Sicht attraktivere Stellenangebote bekämen, so Haack. „Gemeinsam mit unseren Betrieben suchen wir nach Strategien, um dieses Problem aktiv anzugehen. Denn insbesondere bei Berufen im Kontext der Energiewende benötigen wir viele gut qualifizierte Handwerker:innen.“

Auch in Berlin steht in dieser Woche die Fachkräftesicherung im Fokus: Der Bundestag berät über den Regierungsentwurf zweier Gesetze. Am Donnerstag steht die erste Lesung des Gesetzes zur Weiterentwicklung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes an. Am Freitag geht es um die Ausbildungsplatzgarantie bei der ersten Lesung eines Gesetzes zur Stärkung der Aus- und Weiterbildungsförderung.

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