Svenja Schulze

Fußball muss die Kraft haben, nachhaltige Entwicklung von Gesellschaften voranzutreiben

20. November 2022

Großveranstaltungen im Sport sind für die Politik eine Herausforderung, können in Zukunft aber auch Chancen zum gesellschaftlichen Wandel bieten. Das hat Svenja Schulze, SPD-Bundestagsabgeordnete für Münster und Bundesentwicklungsministerin, beim „Roten Salon“ anlässlich der Eröffnung der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar deutlich gemacht. Mit Markus N. Beeko, Generalsekretär Amnesty International Deutschland, und Dr. Sebastian Sons, Experte für die arabischen Golfmonarchien und Buchautor, sowie rund 100 Gästen debattierte sie am Sonntag im Preußenstadion darüber, wie mit Menschenrechtsverletzungen in autoritär regierten Gastgeberländern umzugehen ist. Der frühere Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, Christoph Strässer, führte als Moderator durch die Veranstaltung.

Fabian Schulz, Co-Vorsitzender der SPD Münster, eröffnete den Roten Salon. Er betonte die Verantwortung der Verbände und kritisierte diese scharf. „Die WM in Katar steht symbolisch für die Zerstörung des Kulturguts Fußball. Organisationen wie die FIFA machen immer wieder mit Korruptionsskandalen Schlagzeilen und sind auf Machterhalt und Gewinnmaximierung ausgerichtet. Dass im Zweifel auch Aspekte wie Menschenrechte keine Rolle spielen, folgt da letztlich einer gewissen Logik. Der in den letzten Monaten größer werdende öffentliche Druck von den Fans in den Stadien und aus der Politik muss weiter wachsen, damit diese Logik perspektivisch gebrochen wird.“

Der gewaltige Ressourcenverbrauch durch den Neubau von Stadien und Infrastruktur stößt auf viel Kritik. „Die Ausrichtung von Sportveranstaltungen muss nachhaltig sein. Da muss Politik im engen Dialog mit den Verbänden bleiben, die darüber entscheiden, wer Großveranstaltungen ausrichtet – und wie“, sagte Svenja Schulze. Sie verwies darauf, dass das von ihr geführte Bundesentwicklungsministerium in diesem Jahr seine seit zehn Jahren bestehende Partnerschaft mit dem Deutschen Fußball-Bund erneuert hat. Beide Partner wollen sich demnach für die nachhaltige Ausrichtung von Sportgroßveranstaltungen einsetzen. „Beim DFB und im Entwicklungsministerium sind wir uns einig, dass Sport und insbesondere der Fußball weltweit positive Beiträge zur persönlichen, sozialen und gesellschaftlichen Entwicklung leisten kann. Mit der nachhaltigen Ausrichtung der UEFA EURO 2024 will Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen. Wir wollen Maßstäbe setzen und Inspiration sein für künftige Gastgeber von Sportgroßveranstaltungen.“

Sie betonte, dass Sportveranstaltungen große Chancen für positiven Wandel in der Gesellschaft böten. „Fußball hat die Kraft, nachhaltige Entwicklung von Gesellschaften voranzutreiben. Denn er begeistert und verbindet Menschen auf der ganzen Welt. Die WM ist eine gute Gelegenheit, Fans über das Thema Klima, Nachhaltigkeit und Menschenrechte aufzuklären und für globale Zusammenhänge zu sensibilisieren. Ein gutes Beispiel sind Fußball-Trikots: Es gibt Vereine, die ihre Trikots aus recyceltem Material herstellen lassen und darauf achten, dass Lieferketten nach dem Fairtrade-Textilstandard zertifiziert sind. Bei Großveranstaltungen wie der WM können wir weltweit Millionen Fans dafür sensibilisieren, dass ihr Kauf- und Konsumverhalten einen Einfluss darauf haben, unter welchen Bedingungen Menschen weltweit produzieren.“

Der Experte für arabische Golfmonarchien und Buchautor Dr. Sebastian Sons kritisierte, die deutsche Debatte um die WM in Katar werde in weiten Teilen mit einer gewissen Doppelmoral geführt. „Selbstverständlich muss der Westen Menschenrechte einfordern. Aber sobald politische oder wirtschaftliche Interessen Deutschlands berührt werden, wird es ruhig um das Thema. Diese Doppelmoral müssen wir reflektieren. Die WM bietet uns eine Gelegenheit für eine tiefergehende, selbstkritische Diskussion, die wir nutzen müssen“, sagte er. „Eine Möglichkeiten für Deutschland in der Golfregion, unsere Werte sowie die realpolitischen und wirtschaftlichen Interessen in Balance zu halten, ist insbesondere die Entwicklungspolitik. Denn wir haben in vielen Bereichen ähnliche Interessen wie die Golfstaaten: Wirtschaft, Stabilität, Sicherheit, Energieversorgung. Insbesondere vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges müssen wir begreifen, dass eine wertebasierte Außenpolitik nur dann zu Glaubwürdigkeit führen kann, wenn sie die eigenen Interessen nicht verschleiert.“

In der lebhaften Debatte forderte Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, der Sport brauche Antworten auf die Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der WM in Katar, die über das Turnier hinauswiesen. „Verbände und Sponsoren müssen jetzt einen Paradigmenwechsel einleiten. Der internationale Sport darf nicht länger Teil des Problems sein, sondern muss mit allen Kräften danach streben, ein Teil der Lösung zu werden.“ Für die Vergabe von Sportgroßereignissen müsse künftig gelten, dass Verbände sie verbindlich an menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten ausrichten, so Beeko. „Sportverbände müssen zu Beginn des Vergabeverfahrens die menschenrechtlichen Risiken detailliert erfassen. Sie müssen gemeinsam mit Betroffenengruppen Maßnahmen entwickeln, wie Menschenrechtsverletzungen verhindert werden können. Und sie müssen dafür sorgen, dass den Betroffenen Rechtshilfe und leicht zugängliche Beschwerdeverfahren zur Verfügung stehen, damit sie sich Gehör verschaffen können.“ In Bezug auf Katar fordert Amnesty International unter anderem ein Entschädigungsprogramm für Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Fußballweltmeisterschaft. Ein solcher Schritt wäre ein überfälliges Signal für künftige Sportgroßereignisse.