Schulze: „Fakt ist: Deutschland braucht dringend mehr reguläre Einwanderung von Arbeits- und Fachkräften“

29. Februar 2024

Wie wird Deutschland attraktiver für ausländische Fach- und Arbeitskräfte? Und was braucht es, damit ihre Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft gelingt? Angesichts des enormen Fach- und Arbeitskräftemangels in vielen Branchen und Regionen braucht es dringend Antworten auf diese Fragen, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken. Über Herausforderungen und Lösungen diskutierten am Donnerstagabend Münsters SPD-Bundestagsabgeordnete Svenja Schulze und ihre Gäste mit rund 110 Besucher:innen. Robert von Olberg moderierte. Unterstützt wurde die Veranstaltung von der SPD-Bundestagsfraktion.

Svenja Schulze berichtete, sie habe in ihrer Rolle als Bundesentwicklungsministerin in den vergangenen Wochen ein neues Migrationsberatungszentrum in der nigerianischen Stadt Nyanya eröffnet und in Rabat die sechste Zweigstelle des marokkanischen Zentrums für Migration und Entwicklung eingeweiht. Die Zentren für Migration und Entwicklung – eine Leuchtturminitiative des Bundesentwicklungsministeriums – dienen als zentrale Anlaufstellen für Menschen, die sich für eine Arbeit oder Ausbildung in Deutschland und Europa interessieren. Es gibt sie auch in Ägypten, Ghana, Irak, Marokko, Nigeria, Pakistan, Tunesien und Jordanien. Sie folgen dem Prinzip des „triple win“, das bedeutet: Migration so zu organisieren, dass sie Vorteile für Herkunftsländer, Zielländer und die Migrant:innen selbst bringt.

„Fakt ist: Deutschland braucht dringend mehr reguläre Einwanderung von Arbeits- und Fachkräften. Nur so können wir unseren Wohlstand erhalten“, sagte Schulze. „In der Migrationspolitik arbeiten wir eng mit unseren Partnerländern zusammen, die ein Interesse an regulärer Arbeitsmigration haben. Zugleich wollen wir irreguläre Migration weiter reduzieren. Beides gelingt besser, wenn es gute Informationsangebote für die Menschen gibt. Länder wie Marokko haben eine junge, gut ausgebildete Bevölkerung, denen sie eine Perspektive bieten wollen. Wir beraten Menschen, die über Migration nachdenken, und informieren sie zum Beispiel darüber, welche Berufe der deutsche Arbeitsmarkt braucht und welche Einreisevoraussetzungen es gibt. Auch Fortbildungen und Deutschkurse können hier vermittelt werden. Diese Maßnahmen sind wichtig, damit Deutschland im globalen Wettbewerb um Fachkräfte erfolgreicher wird.“

„Wir haben wohl weniger ein Erkenntnis- als ein Umsetzungsproblem, wenn es um die Frage geht, dass Deutschland dringend Fachkräfte auch aus dem Ausland braucht“, so die SPD-Bundestagsabgeordnete und Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz. „Die Attraktivität Deutschlands soll durch das erst kürzlich reformierte Fachkräfteeinwanderungsgesetz gesteigert werden. Wir befinden uns im unmittelbaren Wettbewerb mit vielen anderen Ländern in ähnlicher Lage.“ Das Gesetz schaffe sichere Perspektiven für Menschen aus anderen Ländern, die in Deutschland studieren, arbeiten oder eine Berufsausbildung machen wollen und ziele besonders darauf ab, Hürden abzubauen. Konkret können Fachkräfte jetzt jede Beschäftigung ausüben – unabhängig von ihrem Abschluss –, sobald zwei Jahre Berufserfahrung vorliegen. Die Fachkraft kann in Deutschland direkt Beschäftigung aufnehmen, wenn der Arbeitgeber zusichert, sich um die formale Anerkennung der Qualifikation zu kümmern. Mit dem Chancenaufenthaltsrecht sei auch die Arbeitssuche innerhalb Deutschlands nun einfacher.

Der ehemaligen Staatsministerin für Integration und Migration Özoğuz ist es ein besonderes Anliegen, dass die Menschen nicht gegeneinander ausgespielt werden. „Selbstverständlich achten wir sehr darauf, dass alle bessere Chancen bekommen, die bei uns nicht immer sofort einen Arbeitsplatz finden. Dafür haben wir den Anspruch auf Weiterbildung erheblich gestärkt.“

Während Deutschlands Fachkräftebedarf enorm ist, gilt das inländische Potenzial als ausgeschöpft. Das erläuterte Prof. Dr. Yuliya Kosyakova, die am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung den Forschungsbereich Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung leitet. „Um Erwerbspotential bis 2060 zu stabilisieren, bräuchte Deutschland jährlich 400.000 ausländische Arbeits- und Fachkräfte. Aktuell würde das dreimal so viel pro Jahr bedeuten, um auch die Rück-/Fortwanderung von Migranten und Migrantinnen auszugleichen“, sagte Kosyakova, die auch Professorin für Migrationsforschung an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg ist. In einem aktuellen Projekt erforscht sie Rück- und Weiterwanderung von ausländischen Fachkräften, die nicht in Deutschland bleiben wollen. „Viele Fachkräfte verlassen Deutschland nach einer Weile wieder. Die Gründe sind komplizierte Verfahren und die hohe Sprachbarriere. Für Frust sorgt auch Unterforderung im Job, wenn Fachkräfte überqualifiziert sind, ihre ausländischen Abschlüsse aber nicht anerkannt werden.“ Sie warnte, dass auch ein Rechtsruck dem Wirtschaftsstandort Deutschland schaden würde: „Je stärker das politische Klima eines Landes rechtspopulistisch geprägt ist und je kritischer die allgemeine Bevölkerung gegenüber Zugewanderten auf dem Arbeitsmarkt eingestellt ist, desto weniger ausländische Fachkräfte zieht es dorthin.“

Seit vielen Jahren berät das International Office der Universität Münster internationale Forschende und unterstützt Institute und Fachbereiche bei der Gewinnung ausländischer Wissenschaftler:innen. Abteilungsleiterin Maria Homeyer schilderte den starken internationalen Wettbewerb um ausländische Fachkräfte und kritisierte, in der Praxis gebe es zahlreiche Hürden. „Wir sind in Deutschland oft zu langsam. Das fängt schon in den Heimatländern an: Es kann Monate dauern, bis sie einen Termin bei der deutschen Botschaft bekommen. Wenn es dazu kommt, sind sie dann oft schon an einer anderen ausländischen Universität.“ Sie forderte ein Umdenken: „Wenn wir dauerhaft Fachkräfte für uns gewinnen wollen, müssen wir dafür den Boden bereiten.“ Lösungen seien neben geringeren Wartezeiten auch der Abbau von Sprachbarrieren, verlässliche digitale Information und vertrauensvolle, nachhaltige Kooperationen.


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